Samstag, 29. April 2006
Philosophie. Nietzsche über Rußland.
1885 Nietzsches Jenseits von Gut und Böse erscheint.

„Die Kraft zu wollen, und zwar einen Willen lang zu wollen ist ... am allerstärksten und erstaunlichsten in jenem ungeheuren Zwischenreiche, wo Europa gleichsam nach Asien zurückfließt, in Rußland. Da ist die Kraft zu wollen seit langem zurückgelegt und aufgespeichert, da wartet der Wille – ungewiß ob als Wille der Verneinung oder der Bejahung in bedrohlicher Weise darauf, ausgelöst zu werden...“.

In der Götzendämmerung (1888) ist es für Nietzsche wiederum dieses russische Phänomen, das seine künftige Position bestimmen wird: „der Wille zur Tradition, zur Autorität, zur Verantwortlichkeit auf Jahrtausende hinaus ... ist dieser Wille da, so gründet sich etwas wie das Imperium Romanum: oder wie Rußland, die einzige Macht, die heute Dauer im Leibe hat, die warten kann, die etwas noch versprechen kann, – Rußland, der Gegensatzbegriff zur erbärmlichen europäischen Kleinstaaterei und Nervosität ... Der ganze Westen hat jene Instinkte nicht mehr, aus denen Institutionen wachsen, aus denen Zukunft wächst ...“
An anderer Stelle schreibt Nietzsche, gegen Amerika gewandt und für Rußland argumentierend:
„Die Amerikaner zu schnell verbraucht – vielleicht nur anscheinend eine künftige Weltmacht.“
Um dem Untergang zu entgehen, bedarf es für Nietzsche einer europäisch-slavischen Synthese. Es geht um das „Ineinanderwachsen der deutschen und slavischen Rasse“. Er schreibt: „... wir brauchen ein unbedingtes Zusammengehen mit Rußland, und mit einem neuen gemeinsamen Programm, welches in Rußland keine englischen Schemata zur Herrschaft kommen läßt. Keine amerikanische Zukunft“. Sollte diese Synthese gelingen, wird „ein deutsch-slavisches Erdregiment nicht zu dem Unwahrscheinlichsten gehören.“
Welche Bedeutung wird Europa haben?
Wenn „Rußland Herr Europas und Asiens werden muß“, so Nietzsche, wird „Europa also das Griechenland unter der Herrschaft Roms sein. Europa also zu fassen als ein Kultur-Zentrum.“

Nach:
D. Groh, Rußland im Blick Europas. 300 Jahre historische Perspektiven, Frankfurt a. M. 1981 (zuerst 1961), S. 361 ff.

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Samstag, 29. April 2006
Philosophie. Wladimir Sergejewitsch Solowjew (1853-1900)
1853: Der Philosoph Wladimir Sergejewitsch Solowjew geboren (gest. 1900)



Solov'ev entstammte einer alten russischen Intellektuellenfamilie. Der Vater war Professor für russische Geschichte, der Großvater orthodoxer Priester. Die Mutter war mit dem ukrainischen Mystiker G. Skovoroda verwandt.
Früh wandte sich Solov'ev von religiösen Themen ab und den Naturwissenschaften zu, wobei Spinoza einen starken Einfluß auf ihn hatte. Allerdings kehrte er bald wieder zur Philosophie und Theologie zurück.

1873/74 beginnt er ein Studium an der Moskauer Geistlichen Akademie.
1880 wurde er mit der Studie „Kritik der abstrakten Prinzipien“ habilitiert.
1881: Er setzte sich für die Begnadigung der Mörder des Zaren Alexanders II. ein, wofür er durch die Behörden gemaßregelt wurde. Solowjew bekannte sich als russisch-orthodoxer Christ zum römisch-katholischen Papst, konvertierte aber nicht.

Zentrales Thema seines Denkens wurde die Frage, warum die Kirche in so viele Konfessionen gespalten ist. Aus diesen Reflexionen entstand seine Legende vom Anti-Christ.
Solov'ev starb am 31. Juli 1900.

Lit.:
S. Pöllinger, Die Ethik Wladimir Solowjews, Wien 1985 (Phil. Diss.)
M. George, Mystische und religiöse Erfahrung im Denken Vladimir Solov'evs, Göttingen 1988;
K. Onasch, Die alternative Orthodoxie: Utopie und Wirklichkeit im russischen Laienchristentum des 19. und 20. Jahrhunderts, Paderborn 1993, S. 106-122;
K. Onasch, Wladimir Solowjow, „Sophia – Poesie einer theologischen Utopie?“, ebd., S. 123-144.

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Donnerstag, 27. April 2006
Philosophie. Nikolai Berdjajew
„Russische Idee“

Der Philosoph und Schriftsteller Nikolai Berdjajew war nicht der erste, der an der Formulierung der „Russischen Idee“ arbeitete, hat aber bis heute nachhaltigen Einfluß. Berdjajew entstammte einer russischen Adelsfamilie.

Im Alter von 20 Jahren beginnt er als Student der Philosophie, in Kiewer Diskussionszirkeln über die Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus zu debattieren.
1898 wird er verhaftet und für zwei Jahre in die Verbannung ins nordrussische Wologda geschickt. Einer seiner Artikel wurde von Karl Kautsky in der sozialdemokratischen „Neuen Zeit“ veröffentlicht.
In der Verbannung nimmt Berdjajew vom Marxismus Abschied und wendet sich dem religiösen Idealismus zu, wobei er sich stark an den Werken des Mystikers Wladimir Solowjow orientiert. Auf Auslandsreisen nach Frankreich und Italien formuliert er seine „religiöse Philosophie“. Er unterstützt die Februarrevolution von 1917 als Sturz einer „Lügen-Theokratie“, gerät aber bald in Widerspruch zur Sowjetmacht.
Nach einigen Verhaftungen lebt Berdjajew von 1922 bis 1924 schließlich in Berlin, macht Bekanntschaft mit Spengler.
Seine „Russische Idee“ erschien 1946 in Paris.

Berdjajew starb am 23. 3. 1948 in Paris. Seine Werke waren in der Sowjetunion verboten, haben in letzter Zeit aber erheblich an Einfluß gewonnen, besonders in der Diskussion über kulturelle Identität.

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