Donnerstag, 27. April 2006
Literatur und Kunst. "Silbernes Zeitalter": 1892-1932
Sogenanntes Silbernes Zeitalter der russischen Dichtung (oder auch Zweites Goldenes Zeitalter)

Eine Epochenbezeichnung für das kulturelle Leben in Rußland um 1900 bis zum sozialistischen Realismus.

Nach 1905 hatten sich die Möglichkeiten der intellektuellen Kommunikation liberalisiert. Sie führten zu einer politisch-sozialen Befreiungsbewegung wie zu einer intensiveren intellektuell-kulturellen Entwicklung, die Universitäten, Schulwesen, bildende Kunst, Theater, Kirche und vor allem die Literatur erfaßte. Es handelte sich weniger um die Befreiung des Kulturlebens von der staatlichen Zensur als um die Auflehnung der Künstler gegen die Tyrannei von Regeln, die im 19. Jahrhundert vorherrschten und künstlerische Mittel v.a. als Instrument im sozialen Kampf beanspruchte (z.B. Belinskij, 1811-1948).

Mit den Symbolisten V. J. Brjusov (1873-1924), Zinaida Gippius (1867-1945), K.D. Bal’mont (1867-1943), A.A. Blok (1880-1921) und N.S. Gumilev (1886-1921) brachte sich der Anspruch auf Autonomie der Kunst nachhaltig zur Geltung. Die ideologische Problematik des Symbolismus ging vor dem Hintergrund kosmopolitischer Bildung über die Probleme der Ästhetik hinaus: V. Ivanov (1866-1949) strebte eine Synthese von Antike und Christentum an. Für sie sollte Schönheit das oberste Ideal und der wichtigste Maßstab für künstlerisches Schaffen sein.

Die Jahre um 1910 sahen den Sieg der neuen Richtung, die ihre Weiterentwicklung im Akmeismus (A. A. Achmatova, 1889-1966) und im Futurismus (Vl. Majakovskij, 1893-1930; B. L. Pasternak, 1890-1960) fand.

In der Bildenden Kunst konnte sich die Avantgarde dieser Zeit allerdings nur bedingt durchsetzen. Ihre bedeutendsten Vertreter (V. Kandinskij, 1866-1944; A. v. Javlenskij, 1864-1941; M. Chagall, geb. 1887) konnten sich in Rußland nicht etablieren.

Kennzeichnend für diese vier Jahrzehnte des Silbernen Zeitalters ist ein deutlicher Wandel in den ästhetischen Normen und literarischen Ausdrucksformen. Die gegenüber der Prosa weniger beachtete Lyrik tritt entschiedener in den Vordergrund. Wichtig wurde die Lektüre Ibsens, Strindbergs, Nietzsches u.a., die Rezeption des französischen bzw. europäischen Symbolismus (bis 1910) setzte ein.
Bedeutsam waren die Entwicklungen im Bereich des Theaters (Stanislavskij und Mejerchol’d). Es entstanden neue Verlage und Zeitschriften. Insbesondere das entstehende Tanztheater gehört zu den großen Symbolen der Russischen Moderne.
Ein weiteres Merkmal des Silbernen Zeitalters ist das Nebeneinander von religiöser und ästhetischer Erneuerung.

Vgl.
E. Stenbock-Fermor, „Das Silberne Zeitalter der russischen Literatur“, in: Rußlands Aufbruch ins 20. Jahrhundert, hg. v. G. Katkov u. a., Freiburg 1970
Sabine Koller, Das Gedächtnis des Theaters: Stanislavskij, Mejerchol’d und das russische Gegenwartstheater Lev Dodins und Anatolij Vasil’evs, Tübingen 2005

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