Donnerstag, 27. April 2006
Pugačev. Puschkins "Die Hauptmannstochter"
In Puschkins kurzem Roman "Die Hauptmannstochter" taucht Pugatschow als Figur auf. Er rettet den jungen Pjotr Andreič, der zu seiner Garnison unterwegs ist, aus einer lebensbedrohlichen Lage. Im Laufe der Romanhandlung begegnen sie sich mehrfach.

Pugatschew in einem Käfig vor seiner Hinrichtung.

Pugatschow auf dem Weg zur Hinrichtung.

„Ich stieg aus der Kibitka. Der Buran dauerte an, doch mit minderer Gewalt. Es war so dunkel, daß man die Hand nicht vor Augen sah. Der Wirt empfing uns am Tor, die Laterne unter dem Rocksaum, und führte mich in eine Stube, eng, aber recht reinlich; ein Kienspan erleuchtete sie. An der Wand hing eine Flinte und eine hohe Kosakenmütze. Der Wirt, von Geburt ein Jaik-Kosak, war anscheinend ein Bauer um die sechzig, aber noch frisch und rüstig. Saveljič brachte die Truhe herein, verlangte nach Feuer, um Tee zu kochen, der mir noch nie so nötig erschienen war. Der Wirt ging, sich darum zu kümmern.
Wo ist denn unser Führer? fragte ich Saveljič.
„Hier, Euer Wohlgeboren,“ - antwortete mir eine Stimme von oben. Ich blickte zu einer Balustrade hinauf und sah den Bart und zwei blitzende Augen. - Na, Freund, bist du nicht durchgefroren? – „Wie soll einer nicht frieren in einem dünnen Armjak? Ich hatte einen Schafspelz, aber den, warum es verschweigen? hab ich gestern beim Schankwirt versetzt: es war nicht so kalt.“ In diesem Augenblick kam der Wirt mit dem siedenden Samovar herein; ich bot unserem Führer eine Tasse Tee an; der Bauer kam herabgeklettert. Sein Äußeres schien mir bemerkenswert: er war um die vierzig Jahre alt, von mittlerem Wuchs, sehnig und breitschultrig. In seinem Bart zeigten sich erste graue Haare; die lebhaften großen Augen bewegten sich flink in alle Richtungen. Sein Gesichtsausdruck war recht angenehm, aber spitzbübisch. Das Haar war rundgeschoren, am Körper trug er einen zerschlissenen Armjak und tatarische Pluderhosen. Ich reichte ihm eine Tasse Tee; er nahm einen Schluck und runzelte die Stirn. „Euer Wohlgeboren, tun Sie mir die Gnade, - befehlen Sie mir ein Glas Schnaps zu bringen; Tee ist kein Getränk für uns Kosaken.“ Mit Freuden erfüllte ich seinen Wunsch. Der Wirt holte vom Geschirrbrett die Vierkantflasche und ein Glas, trat auf ihn zu, blickte ihm ins Gesicht und sagte: „Aha, bist du wieder im Lande! Von woher bringt dich Gott?“ - Mein Führer zwinkerte bedeutsam und antwortete mit einem Sprichwort: „Ich flog in den Garten, pickte am Hanf; die Bäuerin warf Steine - traf aber nicht. Und was machen die euren?“
Was sollen unsere schon machen! - antwortete der Wirt, an das Gespräch in rätselvollen Bildern anknüpfend. Man hat zur Messe geläutet, aber des Popen Weib will nicht: ist der Pope aus dem Haus, tanzen auf dem Friedhof die Teufel. – „Sei still, Onkel“ - erwiderte mein Landstreicher, „gibts Regen, gibts auch Pilze; und gibt es Pilze, findt sich auch ein Korb. Doch heute (hier zwinkerte er wieder) versteck die Axt hinterm Rücken: der Förster geht um. Euer Wohlgeboren! Auf Eure Gesundheit!“ - Mit diesen Worten nahm er das Glas, bekreuzigte sich und trank es in einem Zuge leer. Danach verbeugte er sich, und kehrte hinter die Balustrade zurück.
Ich konnte damals nichts von diesem Gaunergespräch verstehen; erst später erriet ich, daß es mit dem Jaik-Heer zu tun hatte, das damals erst befriedet worden war, nach dem Aufstand von 1772. Saveljič hörte es mit der Miene großen Mißfallens. Er schaute voller Argwohn mal nach dem Wirt, mal nach dem Führer. Die Herberge oder, wie sie hier hieß, die Einkehr, befand sich abgelegen, fernab von jeder Siedlung, und glich wohl einer Räuberhöhle. Aber es war nichts zu machen. An eine Weiterreise war nicht zu denken. Saveljičs Beunruhigung belustigte mich sehr. Unterdessen bereitete ich mir ein Lager und legte mich auf die Bank. Saveljič beschloß, sich auf dem Ofen einzurichten; der Wirt legte sich auf den Fußboden. Bald schnarchte die ganze Hütte, und ich schlief ein wie erschlagen.
Recht spät am Morgen erwacht, sah ich, daß der Sturm sich gelegt hatte. Sie Sonne schien. Der Schnee lag als gleißende Decke auf der unübersehbaren Steppe. Die Pferde waren eingespannt. Ich bezahlte den Wirt, der eine so maßvolle Summe verlangte, daß sogar Saveljič nicht mit ihm zu streiten und, wie gewöhnlich, zu feilschen anfing, und der gestrige Argwohn ganz aus seinem Kopf gewichen war. Ich rief den Führer, dankte ihm für die erwiesene Hilfe und ließ ihm von Saveljič einen halben Rubel Trinkgeld geben. Saveljič runzelte die Stirn. „Einen halben Rubel!“ - sagte er, - „wofür denn? Dafür, daß du ihn in die Herberge mitgenommen hast? Wie du willst, Herr: wir haben keinen halben Rubel zu viel. Gib jedem ein Trinkgeld, und du hast bald selber nichts mehr zu essen.“ Ich konnte mit Saveljič nicht streiten. Das Geld befand sich, meinem Versprechen gemäß, in seiner Verfügungsgewalt. Dennoch war es mir ärgerlich, einem Menschen nicht danken zu können, der mich, wenn nicht aus einer Not, so doch aus einer sehr unangenehmen Lage befreit hatte. Gut - sagte ich gelassen; - wenn du ihm keinen halben Rubel geben willst, dann hol ihm etwas von meinen Kleidern. Er ist zu leicht gekleidet. Gib ihm meinen Hasenpelz.
„Ich bitte dich, Väterchen Pjotr Andreič!“ - sagte Saveljič. – „Was macht er schon mit deinem Hasenpelz? Er versäuft ihn, der Hund, in der erstbesten Schenke.“
Das, Alter, wäre nicht mehr deine Sorge, - sagte mein Landstreicher, - ob ich ihn versaufe oder nicht. Seine Wohlgeboren nimmt den Hasenpelz von seiner Schulter und schenkt ihn mir: das ist der Wille deines Herrn, und du als Knecht hast nicht zu streiten, sondern auf ihn zu hören. „Räuber, hast du keine Gottesfurcht!“ - antwortete Saveljič mit zorniger Stimme. – „Du siehst, das Kind hat noch keinen Verstand, und du willst es in seiner Einfalt ausplündern. Was willst du mit dem Pelz eines Herrn? Du kriegst ihn ja nicht mal über deine verfluchten Schultern.“ - Bitte, laß die klugen Reden, - sagte ich zu meinem Erzieher; - bring sofort den Pelz hierher.
„Herr im Himmel!“ - stöhnte mein Saveljič auf. – „Der Hasenpelz ist fast noch nagelneu! wenns wenigstens für jemand andern wäre, als für einen Säufer in Lumpen!“
Aber der Hasenpelz erschien. Der Bauer probierte ihn sofort an. Tatsächlich war ihm der Pelz, dem schon ich entwachsen war, ein wenig zu eng. Doch irgendwie schaffte er es, ihn überzuziehen, wobei er die Nähte sprengte. Saveljič hätte beinahe aufgeheult, als er die Fäden platzen hörte. Der Landstreicher war überaus zufrieden mit meinem Geschenk. Er begleitete mich zur Kibitka und sagte mit tiefer Verbeugung: „Danke, Euer Wohlgeboren! Belohne Euch der Herrgott für Eure Tugend. Mein Lebtag werd ich Eure Gnaden nicht vergessen.“ - Er ging seiner Wege, und ich fuhr weiter, ohne Saveljičs Ärger weiter zu beachten, und hatte den gestrigen Sturm, meinen Führer und den Hasenpelz bald vergessen.“

A. Puschkin, Die Hauptmannstochter, in: Die Romane, Berlin 1999, S. 29-33

Sergej Jessenin (1895-1925) verfaßte 1920/21 das lyrische Drama Pugatschow, das von einer Bauernrevolte des 18. Jahrhunderts handelt.

Vgl. a. Mierau, Fritz, Russische Stücke: 1913 – 1933, hrsg. u. mit e. Nachw. vers. von Fritz Mierau, Berlin 1988 (Reihe Internationale Dramatik)

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