Mittwoch, 26. April 2006
Literatur. Sergej Jessenin (1895-1925)
burkhardt krause, 22:44h
Jessenin gilt als einer der bedeutenden russischen Lyriker des 20. Jahrhunderts.
Er war Sohn eines Bauern, was sich u.a. in seinem stark ausgeprägten Talent bekundet, Naturerlebnisse überzeugend in Verse umzugestalten.
Sein Leben verlief tragisch.
Es führte ihn nach Moskau und Petrograd, dann nach Westeuropa und Amerika, in Bohèmekreise, die fern seiner Beziehungen zum ländlichen Rußland und seiner Religiosität waren. Er verfiel dem Alkohol, Drogen, führte ein exzessives Leben. Verheiratet war er mit der weltberühmten amerikanischen Tänzerin Isadora Duncan, dann mit einer Enkelin Lew Tolstois und mit Sinaida Raich.

Jessenin wuchs bei seinen Großeltern auf und besuchte ein kirchliches Lehrerseminar. Mit literarischen Ambitionen ging er 1912 nach Moskau.
Er arbeitete in einer Druckerei und nahm Kontakte, die er seit 1911 unterhielt, zum Surikow-Kreis für Literatur und Musik wieder auf.
1915 reiste er von Moskau nach Petrograd und bekam über Alexander Blok Zugang zu den Symbolistenkreisen.
Sein erster Lyrikband Auferstehungszeit erschien 1916 in Petrograd. Vorherrschend ist darin die Jessenin eigene (von den Altgläubigen beeinflußte) Religiosität, die Natur und Tradition der russischen dörflichen Lebenswelten. Vielfach werden Anklänge an die Volksdichtung bemerkbar, freilich ebenso eigenständige Bildelemente.
ln Petrograd wurde er von den Symbolisten beeinflußt, insbesondere von Kljujew und Iwanow-Rasumnik. Von den Symbolisten trennte er sich indes bald.
Jessenin stand nach 1917 den Sozialrevolutionären nahe, was sich etwa in dem Gedicht Tovarišč (Der Genosse) zum Ausdruck bringt.
(Der Lyriker Iwanow-Rasumnik war der einflußreichste Literaturwissenschaftler zu Beginn des Jahrhunderts und Mentor der Symbolisten. Kurz nach der Revolution verschwand er für Jahre in sowjetischen Gefängnissen und Gulags. Während des Krieges gelang ihm die Emigration, 1946 starb er in Bayern.)
In der Verserzählung Andersland entwirft er ein nahendes Paradies der Bauern auf Erden.
1919 ging er nach Moskau und stieß zu Marienhofs literarischer Gruppe der Imaginisten, der er bedeutsame Impulse vermittelte und in entscheidender Weise prägte (durch seine „Bildtheorie“). Deren Abgrenzung gegen Proletkult und Futurismus kam seinen Vorstellungen entgegen. Er fand Anerkennung, seine Dichtung indes verlor viel von ihrer ursprünglichen Natürlichkeit. Seine Dichtungen zwischen 1921 und 1923 (Beichte eines Hooligans, Gedichte eines Skandalisten, Das Moskau der Kneipen) ist von seiner desolaten Lebenssituation geprägt.
Später kamen wieder Gedichte hinzu, in denen er das vergangene und vergehende alte Rußland dem Sowjetstaat kontrastiert.
Jessenin nannte sich 1924 einen „Fremdling im eigenen Land“, was neben der Entfremdung vom Dorf und von vielen ihm einmal nahen Menschen auch die Fremdheit gegenüber dem politischen System meinte. Schließlich suchte er aus seiner Verzweiflung Flucht im Freitod.
Nach: W. Kasack, Russische Autoren in Einzelportäts, Stuttgart 1994, S. 170-175
Auswahl seiner Lyrik unter:
http://www.litlinks.it/jx/jessenin.htm
Kein Lied nach meinem mehr, vom Dorf zu singen,
die Bretterbrücke kann nicht mehr ins Lied.
Ich seh die Birke Weihrauchkessel schwingen,
ich wohn ihr bei - der Abschiedsliturgie.
Aus meinem Leib gezogen ist die Kerze,
sie brennt herab, brennt golden und brennt stumm.
Von ihm, dem Mond, der Uhr, der Uhr dort, hölzern,
les ich es ab: Die Zeit, Sergej - herum.
Übers blaue Feld kommt er gegangen,
kommt und kommt, der eiserne, der Gast.
Rauft die Halme aus, die Abendröte tranken,
und er ballt sie in der schwarzen Faust.
Hände ihr, ihr fremden, seelenleeren,
was ich sing, wenn ihr es greift, ists hin.
Ach, um ihn, der einst der Herr hier war -: die Ähren,
sie, die wiehern, trauern einst um ihn.
Seelenmessen dann und danach Tänze,
nach dem Wiehern schwingen sie das Bein.
Jene Uhr dort, ja, die Uhr dort, hölzern,
sagts dir bald: Sergej, es ist soweit.
1920
Übersetzt von Paul Celan
Literatur: Russische Lyrik. Gedichte aus drei Jahrhunderten. Ausgewählt und eingeleitet von Efim Etkind, München 1987
Er war Sohn eines Bauern, was sich u.a. in seinem stark ausgeprägten Talent bekundet, Naturerlebnisse überzeugend in Verse umzugestalten.
Sein Leben verlief tragisch.
Es führte ihn nach Moskau und Petrograd, dann nach Westeuropa und Amerika, in Bohèmekreise, die fern seiner Beziehungen zum ländlichen Rußland und seiner Religiosität waren. Er verfiel dem Alkohol, Drogen, führte ein exzessives Leben. Verheiratet war er mit der weltberühmten amerikanischen Tänzerin Isadora Duncan, dann mit einer Enkelin Lew Tolstois und mit Sinaida Raich.

Jessenin wuchs bei seinen Großeltern auf und besuchte ein kirchliches Lehrerseminar. Mit literarischen Ambitionen ging er 1912 nach Moskau.
Er arbeitete in einer Druckerei und nahm Kontakte, die er seit 1911 unterhielt, zum Surikow-Kreis für Literatur und Musik wieder auf.
1915 reiste er von Moskau nach Petrograd und bekam über Alexander Blok Zugang zu den Symbolistenkreisen.
Sein erster Lyrikband Auferstehungszeit erschien 1916 in Petrograd. Vorherrschend ist darin die Jessenin eigene (von den Altgläubigen beeinflußte) Religiosität, die Natur und Tradition der russischen dörflichen Lebenswelten. Vielfach werden Anklänge an die Volksdichtung bemerkbar, freilich ebenso eigenständige Bildelemente.
ln Petrograd wurde er von den Symbolisten beeinflußt, insbesondere von Kljujew und Iwanow-Rasumnik. Von den Symbolisten trennte er sich indes bald.
Jessenin stand nach 1917 den Sozialrevolutionären nahe, was sich etwa in dem Gedicht Tovarišč (Der Genosse) zum Ausdruck bringt.
(Der Lyriker Iwanow-Rasumnik war der einflußreichste Literaturwissenschaftler zu Beginn des Jahrhunderts und Mentor der Symbolisten. Kurz nach der Revolution verschwand er für Jahre in sowjetischen Gefängnissen und Gulags. Während des Krieges gelang ihm die Emigration, 1946 starb er in Bayern.)
In der Verserzählung Andersland entwirft er ein nahendes Paradies der Bauern auf Erden.
1919 ging er nach Moskau und stieß zu Marienhofs literarischer Gruppe der Imaginisten, der er bedeutsame Impulse vermittelte und in entscheidender Weise prägte (durch seine „Bildtheorie“). Deren Abgrenzung gegen Proletkult und Futurismus kam seinen Vorstellungen entgegen. Er fand Anerkennung, seine Dichtung indes verlor viel von ihrer ursprünglichen Natürlichkeit. Seine Dichtungen zwischen 1921 und 1923 (Beichte eines Hooligans, Gedichte eines Skandalisten, Das Moskau der Kneipen) ist von seiner desolaten Lebenssituation geprägt.
Später kamen wieder Gedichte hinzu, in denen er das vergangene und vergehende alte Rußland dem Sowjetstaat kontrastiert.
Jessenin nannte sich 1924 einen „Fremdling im eigenen Land“, was neben der Entfremdung vom Dorf und von vielen ihm einmal nahen Menschen auch die Fremdheit gegenüber dem politischen System meinte. Schließlich suchte er aus seiner Verzweiflung Flucht im Freitod.
Nach: W. Kasack, Russische Autoren in Einzelportäts, Stuttgart 1994, S. 170-175
Auswahl seiner Lyrik unter:
http://www.litlinks.it/jx/jessenin.htm
Kein Lied nach meinem mehr, vom Dorf zu singen,
die Bretterbrücke kann nicht mehr ins Lied.
Ich seh die Birke Weihrauchkessel schwingen,
ich wohn ihr bei - der Abschiedsliturgie.
Aus meinem Leib gezogen ist die Kerze,
sie brennt herab, brennt golden und brennt stumm.
Von ihm, dem Mond, der Uhr, der Uhr dort, hölzern,
les ich es ab: Die Zeit, Sergej - herum.
Übers blaue Feld kommt er gegangen,
kommt und kommt, der eiserne, der Gast.
Rauft die Halme aus, die Abendröte tranken,
und er ballt sie in der schwarzen Faust.
Hände ihr, ihr fremden, seelenleeren,
was ich sing, wenn ihr es greift, ists hin.
Ach, um ihn, der einst der Herr hier war -: die Ähren,
sie, die wiehern, trauern einst um ihn.
Seelenmessen dann und danach Tänze,
nach dem Wiehern schwingen sie das Bein.
Jene Uhr dort, ja, die Uhr dort, hölzern,
sagts dir bald: Sergej, es ist soweit.
1920
Übersetzt von Paul Celan
Literatur: Russische Lyrik. Gedichte aus drei Jahrhunderten. Ausgewählt und eingeleitet von Efim Etkind, München 1987
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