Mittwoch, 26. April 2006
Literatur. 11.12.1918: Alexander Solshenizyn geboren
burkhardt krause, 22:08h
Alexander Solschenizyn wird am 11. Dezember 1918 im russischen Kislowodsk geboren und übersiedelt im Alter von sechs Jahren mit seiner Mutter nach Rostow am Don. Nach dem Besuch der höheren Schule nimmt er 1937 das Studium an der Physikalisch-Mathematischen Fakultät der Universität Rostow auf und absolviert zeitgleich einen Fernkurs am Moskauer Institut für Geschichte, Philosophie und Literatur. Der Wunsch zu schreiben und jener der Abrechnung mit einem unmenschlichen System entstehen unabhängig voneinander.
Nach dem Kriegsausbruch 1941 dient Solschenizyn als Artillerieoffizier in der Roten Armee, von 1942 bis zu seiner Verhaftung im Februar 1945 im ständigen Fronteinsatz in vorderster Linie. Einige unehrerbietige Äußerungen über Stalin in seiner Korrespondenz mit einem Schulfreund genügen für die Verhaftung in Ostpreußen von der Truppe weg und führen zu einer Verurteilung zu acht Jahren Lagerhaft am 7. Juli 1945. Während der Haft arbeitet Solschenizyn als Handlanger, Maurer und Gießer. Er lernt die Arbeit des Steineklopfens und des Metallgießens, bis er in einem Sonderlager für politische Gefangene an Krebs erkrankt und ohne Erfolg operiert wird.

Nach Verbüßung der Haft 1953 schließt sich eine dreijährige Verbannung nach Kok-Terek („Grüne Pappel“) in Kasachstan an, wo Solschenizyn als Dorfschullehrer für Mathematik und Physik arbeiten darf. Eine Strahlentherapie in der usbekischen Krebsklinik von Taschkent bringt seine Krebserkrankung zum Stillstand.
In Kok-Terek beginnt Solschenizyn im Laufe des Jahres 1955 mit einer intensiven schriftstellerischen Tätigkeit. Dieser zunächst noch geheim gehaltenen Leidenschaft widmet er sich auch nach dem Ende seiner Verbannung im Jahr darauf.
Solschenizyn wird Lehrer für Mathematik und Physik in Rjasan und beginnt mit der Niederschrift der Erzählung "Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch", worin der Autor ungeschönt seine Erlebnisse während der Lagerhaft verarbeitet.
1956 beginnt er auch mit der Arbeit an seinem ersten großen Roman "Im ersten Kreis", dessen Titel sich auf den ersten Kreis der Hölle in Dantes Göttlicher Komödie beziehen wird. Durch Beschluss des Obersten Gerichtshofs der UdSSR erfolgt am 6. Februar 1957 Solschenizyns vollständige Rehabilitierung.
Infolge der Abrechnung mit dem Stalinismus durch Nikita Chruschtschow und dessen Fürsprache konnte die Erzählung "Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch" 1962 in der sowjetischen Literaturzeitschrift Nowy Mir erscheinen. Diese regimekritische Publikation erregte erhebliches Aufsehen und kam einer Sensation gleich, zumal sie sich mit der stalinistischen Vergangenheit auseinandersetzte. Da Solschenizyn fortfuhr, über alles zu schreiben, was ihm auch an seiner Gegenwart missfiel, blieb die erneute Konfrontation mit dem politischen System nur eine Frage der Zeit.
Nach der Veröffentlichung von "Matrjonas Hof" - einer indirekten Kritik an der sowjetischen Gesellschaftsordnung - und nach heftigen Debatten für und wider seine Person wird Solschenizyn 1964 als Kandidat für den Lenin-Preis abgelehnt. Inzwischen beginnt der Autor mit der Niederschrift seines Romans "Krebsstation", in dem er die Substanz des kommunistischen Staatsgefüges als Krebsgeschwür und als Krankheitsherd anprangert.
In den folgenden Jahren sieht er sich zunehmend Angriffen auch aus den eigenen Reihen ausgesetzt, doch schützt ihn inzwischen seine internationale Bekanntheit vor der erneuten Verhaftung. Den Nobelpreis für Literatur des Jahres 1970 darf er nicht persönlich entgegennehmen. Bereits 1969 wird Solschenizyn aus dem Schriftstellerverband der UdSSR ausgeschlossen, an den er zwei Jahre zuvor die folgenden Zeilen gerichtet hat: "Die Aufgabe des Schriftstellers besteht nicht darin, diese oder jene Methode der Verteilung des Sozialprodukts, diese oder jene Staatsform zu verteidigen oder zu kritisieren. Der Schriftsteller wählt universale und ewige Themen, die Geheimnisse des menschlichen Herzens und Gewissens, die Begegnung des Lebens mit dem Tode, die Überwindung seelischer Schmerzen, die Gesetze der Menschlichkeit, die aus der unergründlichen Tiefe der Jahrtausende emporsteigen und erst dann verschwinden werden, wenn die Sonne verlischt ..."
In "Der Archipel Gulag", das der Autor als sein wichtigstes Werk betrachtet, zeichnet Solschenizyn umfassend die politischen Verfolgung in der Sowjetunion in allen ihren Facetten nach. Die dokumentarische Schilderung des sowjetischen Lagersystems erregt internationales Aufsehen und zieht in der Folge die Ausweisung des Autors aus der UdSSR am 14. Februar 1974 nach sich. Das zunächst in Teilen außer Landes geschmuggelte Buch kann erstmals 1973 bis 1975 in Paris erscheinen. Sein Lebenswerk hat Alexander Solschenizyn all jenen gewidmet, denen nicht genug Leben war, über dies zu erzählen:
"Vier Todeszellen gab es in dem Gefängnis, die Kinder- und die Krankenzelle auf demselben Gang! Die Todeszellen hatten je zwei Türen: eine gewöhnliche Holztür mit Guckloch und eine eiserne Gittertür, und jede Tür zwei Schlösser [...] Wand an Wand mit Nr. 43 lag ein Verhörzimmer, und nachts, wenn die Verurteilten aufs Abgeführtwerden warteten, schlugen ihnen auch noch die Schreie der Gefolterten ans Trommelfell. [...] Fürs Warten auf den Tod blieben jedem weniger als ein halber Meter im Quadrat! Obwohl doch längst bekannt ist, daß selbst ein Toter Anrecht auf zwei Meter hat – und auch das, meinte Tschechow, sei noch zu wenig..."
(Alexander Solschenizyn: Der Archipel Gulag, Bern 1974, S. 427)
Nach seiner Ausweisung aus der Sowjetunion verbringt Solschenizyn zunächst einige Zeit in der Schweiz und in Deutschland, wo er bei seinem Freund Heinrich Böll Aufnahme und Unterstützung findet. 1976 übersiedelt er in die USA, wird mit dem Freedoms Found Award der Stanford University ausgezeichnet und erhält 1978 den Doktorgrad der Harvard University.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wird Solschenizyn noch im Jahre 1990 rehabilitiert, entschließt sich jedoch erst vier Jahre später zu seiner Rückkehr in die Heimat. Trotz seiner langjährigen Tätigkeit in den USA hat er sich keine fundierten Kenntnisse der englischen Sprache aneignen können, was nicht zuletzt auch damit zusammenhängen mag, dass er nach eigenen Angaben außerhalb seiner russischen Heimat nirgendwo heimisch werden konnte.
Der sich zum russisch-orthodoxen Christentum bekennende Alexander Solschenizyn lebt heute mit seiner dritten Ehefrau Natalia Svetlova nahe Moskau, von wo aus er die Entwicklung in und um Russland von Zeit zu Zeit mit kritischen Kommentaren begleitet. So übte er Kritik am Einsatz der NATO in Jugoslawien und zuletzt am Einmarsch der USA in den Irak.
Werkauswahl:
Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch. Erzählung, Berlin 1963.
Der erste Kreis der Hölle. Roman, Frankfurt am Main 1968.
Krebsstation. Roman in zwei Bänden. Mit einem Vorwort von Heinrich Böll, Neuwied/Berlin 1969.
Matrjonas Hof. Mit einem Nachwort von Kay Borowsky, Stuttgart 1971.
Zwischenfall auf dem Bahnhof Kretschetowka. Erzählungen, München – Berlin 1971.
August Vierzehn. Mit einem Nachwort des Autors, Anmerkungen, einem Personenverzeichnis und historischen Karten, Neuwied – Berlin 1972.
Der Archipel Gulag, Bern 1974.
November Sechzehn, München – Zürich 1986.
Literatur- und Quellenverzeichnis:
Kasack, Wolfgang: Solshenizyn: Der erste Kreis der Hölle. In: Der russische Roman, hg. v. Bodo Zelinsky, Düsseldorf 1979, S. 381–399.
Kasack, Wolfgang: Lexikon der russischen Literatur ab 1917, Stuttgart 1976.
Krywalski, Diether: Knaurs Lexikon der Weltliteratur. Autoren – Werke – Sachbegriffe, München 1992.
Neumann-Hoditz, Reinhold: Solschenizyn, Reinbek bei Hamburg 1974.
http://www.rasscass.com/templ/te_bio.php?PID=1083&RID=1; Stand: 21.01.2006
http://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Solschenizyn Stand: 21.01.2006
Matthias Mühlhäuser
Nach dem Kriegsausbruch 1941 dient Solschenizyn als Artillerieoffizier in der Roten Armee, von 1942 bis zu seiner Verhaftung im Februar 1945 im ständigen Fronteinsatz in vorderster Linie. Einige unehrerbietige Äußerungen über Stalin in seiner Korrespondenz mit einem Schulfreund genügen für die Verhaftung in Ostpreußen von der Truppe weg und führen zu einer Verurteilung zu acht Jahren Lagerhaft am 7. Juli 1945. Während der Haft arbeitet Solschenizyn als Handlanger, Maurer und Gießer. Er lernt die Arbeit des Steineklopfens und des Metallgießens, bis er in einem Sonderlager für politische Gefangene an Krebs erkrankt und ohne Erfolg operiert wird.

Nach Verbüßung der Haft 1953 schließt sich eine dreijährige Verbannung nach Kok-Terek („Grüne Pappel“) in Kasachstan an, wo Solschenizyn als Dorfschullehrer für Mathematik und Physik arbeiten darf. Eine Strahlentherapie in der usbekischen Krebsklinik von Taschkent bringt seine Krebserkrankung zum Stillstand.
In Kok-Terek beginnt Solschenizyn im Laufe des Jahres 1955 mit einer intensiven schriftstellerischen Tätigkeit. Dieser zunächst noch geheim gehaltenen Leidenschaft widmet er sich auch nach dem Ende seiner Verbannung im Jahr darauf.
Solschenizyn wird Lehrer für Mathematik und Physik in Rjasan und beginnt mit der Niederschrift der Erzählung "Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch", worin der Autor ungeschönt seine Erlebnisse während der Lagerhaft verarbeitet.
1956 beginnt er auch mit der Arbeit an seinem ersten großen Roman "Im ersten Kreis", dessen Titel sich auf den ersten Kreis der Hölle in Dantes Göttlicher Komödie beziehen wird. Durch Beschluss des Obersten Gerichtshofs der UdSSR erfolgt am 6. Februar 1957 Solschenizyns vollständige Rehabilitierung.
Infolge der Abrechnung mit dem Stalinismus durch Nikita Chruschtschow und dessen Fürsprache konnte die Erzählung "Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch" 1962 in der sowjetischen Literaturzeitschrift Nowy Mir erscheinen. Diese regimekritische Publikation erregte erhebliches Aufsehen und kam einer Sensation gleich, zumal sie sich mit der stalinistischen Vergangenheit auseinandersetzte. Da Solschenizyn fortfuhr, über alles zu schreiben, was ihm auch an seiner Gegenwart missfiel, blieb die erneute Konfrontation mit dem politischen System nur eine Frage der Zeit.
Nach der Veröffentlichung von "Matrjonas Hof" - einer indirekten Kritik an der sowjetischen Gesellschaftsordnung - und nach heftigen Debatten für und wider seine Person wird Solschenizyn 1964 als Kandidat für den Lenin-Preis abgelehnt. Inzwischen beginnt der Autor mit der Niederschrift seines Romans "Krebsstation", in dem er die Substanz des kommunistischen Staatsgefüges als Krebsgeschwür und als Krankheitsherd anprangert.
In den folgenden Jahren sieht er sich zunehmend Angriffen auch aus den eigenen Reihen ausgesetzt, doch schützt ihn inzwischen seine internationale Bekanntheit vor der erneuten Verhaftung. Den Nobelpreis für Literatur des Jahres 1970 darf er nicht persönlich entgegennehmen. Bereits 1969 wird Solschenizyn aus dem Schriftstellerverband der UdSSR ausgeschlossen, an den er zwei Jahre zuvor die folgenden Zeilen gerichtet hat: "Die Aufgabe des Schriftstellers besteht nicht darin, diese oder jene Methode der Verteilung des Sozialprodukts, diese oder jene Staatsform zu verteidigen oder zu kritisieren. Der Schriftsteller wählt universale und ewige Themen, die Geheimnisse des menschlichen Herzens und Gewissens, die Begegnung des Lebens mit dem Tode, die Überwindung seelischer Schmerzen, die Gesetze der Menschlichkeit, die aus der unergründlichen Tiefe der Jahrtausende emporsteigen und erst dann verschwinden werden, wenn die Sonne verlischt ..."
In "Der Archipel Gulag", das der Autor als sein wichtigstes Werk betrachtet, zeichnet Solschenizyn umfassend die politischen Verfolgung in der Sowjetunion in allen ihren Facetten nach. Die dokumentarische Schilderung des sowjetischen Lagersystems erregt internationales Aufsehen und zieht in der Folge die Ausweisung des Autors aus der UdSSR am 14. Februar 1974 nach sich. Das zunächst in Teilen außer Landes geschmuggelte Buch kann erstmals 1973 bis 1975 in Paris erscheinen. Sein Lebenswerk hat Alexander Solschenizyn all jenen gewidmet, denen nicht genug Leben war, über dies zu erzählen:
"Vier Todeszellen gab es in dem Gefängnis, die Kinder- und die Krankenzelle auf demselben Gang! Die Todeszellen hatten je zwei Türen: eine gewöhnliche Holztür mit Guckloch und eine eiserne Gittertür, und jede Tür zwei Schlösser [...] Wand an Wand mit Nr. 43 lag ein Verhörzimmer, und nachts, wenn die Verurteilten aufs Abgeführtwerden warteten, schlugen ihnen auch noch die Schreie der Gefolterten ans Trommelfell. [...] Fürs Warten auf den Tod blieben jedem weniger als ein halber Meter im Quadrat! Obwohl doch längst bekannt ist, daß selbst ein Toter Anrecht auf zwei Meter hat – und auch das, meinte Tschechow, sei noch zu wenig..."
(Alexander Solschenizyn: Der Archipel Gulag, Bern 1974, S. 427)
Nach seiner Ausweisung aus der Sowjetunion verbringt Solschenizyn zunächst einige Zeit in der Schweiz und in Deutschland, wo er bei seinem Freund Heinrich Böll Aufnahme und Unterstützung findet. 1976 übersiedelt er in die USA, wird mit dem Freedoms Found Award der Stanford University ausgezeichnet und erhält 1978 den Doktorgrad der Harvard University.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wird Solschenizyn noch im Jahre 1990 rehabilitiert, entschließt sich jedoch erst vier Jahre später zu seiner Rückkehr in die Heimat. Trotz seiner langjährigen Tätigkeit in den USA hat er sich keine fundierten Kenntnisse der englischen Sprache aneignen können, was nicht zuletzt auch damit zusammenhängen mag, dass er nach eigenen Angaben außerhalb seiner russischen Heimat nirgendwo heimisch werden konnte.
Der sich zum russisch-orthodoxen Christentum bekennende Alexander Solschenizyn lebt heute mit seiner dritten Ehefrau Natalia Svetlova nahe Moskau, von wo aus er die Entwicklung in und um Russland von Zeit zu Zeit mit kritischen Kommentaren begleitet. So übte er Kritik am Einsatz der NATO in Jugoslawien und zuletzt am Einmarsch der USA in den Irak.
Werkauswahl:
Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch. Erzählung, Berlin 1963.
Der erste Kreis der Hölle. Roman, Frankfurt am Main 1968.
Krebsstation. Roman in zwei Bänden. Mit einem Vorwort von Heinrich Böll, Neuwied/Berlin 1969.
Matrjonas Hof. Mit einem Nachwort von Kay Borowsky, Stuttgart 1971.
Zwischenfall auf dem Bahnhof Kretschetowka. Erzählungen, München – Berlin 1971.
August Vierzehn. Mit einem Nachwort des Autors, Anmerkungen, einem Personenverzeichnis und historischen Karten, Neuwied – Berlin 1972.
Der Archipel Gulag, Bern 1974.
November Sechzehn, München – Zürich 1986.
Literatur- und Quellenverzeichnis:
Kasack, Wolfgang: Solshenizyn: Der erste Kreis der Hölle. In: Der russische Roman, hg. v. Bodo Zelinsky, Düsseldorf 1979, S. 381–399.
Kasack, Wolfgang: Lexikon der russischen Literatur ab 1917, Stuttgart 1976.
Krywalski, Diether: Knaurs Lexikon der Weltliteratur. Autoren – Werke – Sachbegriffe, München 1992.
Neumann-Hoditz, Reinhold: Solschenizyn, Reinbek bei Hamburg 1974.
http://www.rasscass.com/templ/te_bio.php?PID=1083&RID=1; Stand: 21.01.2006
http://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Solschenizyn Stand: 21.01.2006
Matthias Mühlhäuser
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