Mittwoch, 26. April 2006
"Politische Philosophie". 1626: Leibniz' Specimen demonstrationum.
Leibniz erwähnt Moskau erstmals in dieser Schrift.
Er vertritt zunächst eine feindliche, zumindest abwehrende Haltung gegenüber Rußland. Er beschwört die Schrecken des livländischen Krieges und stellt sich die Frage, ob solche Menschen überhaupt als Christen anzusehen seien. Er warnt davor, Rußland den Weg nach Europa durch den Fall der Vormauer Europas, Polen, zu öffnen. Rußland wird von Leibniz noch als Land der Barbarei bezeichnet, eine Bewertung, die sich allerdings bald zum Positiven wenden würde.

Exkurs: Leibniz und Rußland

1697 erschien Leibniz’ Novissima Sinica. In der Vorrede weist er Moskau ausdrücklich eine historisch bedeutsame Stellung zu. Für ihn sind Europa und China Hauptträger der Kultur. Der Kontakt zwischen China und Rußland (anläßlich des Friedens von Nipschau 1689), weckte in Leibniz die Hoffnung, es könnte Rußland das Bindeglied zwischen Europa und China werden. Er zog daraus den Schluß, daß Rußland kulturell von Europa aus erschlossen werden müsse.
In Peters des Großen Europareise setzte Leibniz große Hoffnungen. Sein Verständnis für Rußland änderte sich: Er betrachtete Rußland historisch/kulturell als Tabula rasa und entwickelte ambitionierte Pläne für Rußland, in denen auch China eine wichtige Rolle spielte u. bemühte sich intensiv um eine persönliche Begegnung mit Zar Peter dem Großen. Eine in dieser Zeit entstandene Denkschrift enthält folgende Überlegungen: Weil Rußland und China die europäische Wissenschaften und Künste bei sich einführen wollen, können sie sich gegenseitig unterstützen. Um der europäischen Kultur in Rußland Zutritt zu ermöglichen, bedarf es vor allem der Einrichtung einer Akademie, deren Leitung er, Leibniz, leiten wollte, und der Einfuhr alles Nützlichen und Guten aus Europa, allerdings ohne dessen Laster mit zu übernehmen!
Leibniz’ Optimismus schwand indes in Anbetracht des Nordischen Kriegs. Er fürchtete, die Kriegshandlungen könnten die russische Entwicklung stören, desgleichen, daß ein russischer Sieg die „protestantische Sache“ schwächen könnte. Auch bedrängte ihn die Frage, ob Rußland für Europa gefährlich werden könne. Dies aber könne, so Leibniz, nur dann geschehen, wenn Rußland daran gehindert werde, sich nach westlichem Vorbild zu entwickeln.

1711 traf Leibniz Zar Peter. In einem Brief an ihn formuliert er:
„Es scheint es sey die Schickung Gottes, daß die Wissenschaft den Kreis der Erden umbwandern und nunmehr auch nach Scythien kommen solle und daß E.M. diesfalls zum Werkzeug ersehen, da sie auf der einen Seite aus Europa, auff der andern aus China das Beste nehmen und was beyde getan durch gute Anstalt verbessern können. Denn weil in dero Reich großen Theils noch alles die Studies betreffend neu und gleichsam in weiß papier [tabula rasa-Gedanke, B.K.], so können unzehlich viel Fehler vermieden werden die in Europa allmählig und unbemerkt eingerissen, und weiß man, daß ein Palast, der ganz von neuem aufgeführet wird besser herauskommt, als wenn daran viele Secula über gebauet, gebessert, und auch viel geändert worden... ich halte den Himmel für mein Vaterland und alle wohlgesinnten Menschen für dessen Mitbürger und ist mir lieber bey den Russen viel Gutes auszurichten, als bey den Teutschen oder anderen Europäern wenig...“ Leibniz konzentrierte sich intensiv auf die Einführung europäischer Kultur in Rußland.
Die krisenhafte Situation in Europa ruft bei ihm das Wunschbild eines besseren „Europa“, nämlich Rußland, hervor.
Leibniz’ politische Projekte wandten sich zunehmend Rußland zu. In den folgenden Jahren führte er mehrere Gespräche mit Peter, in denen diese politischen Aspekte eine zentrale Rolle spielten. In den Gesprächen bei der zweiten Begegnung mit dem Zaren 1712 in Karlsbad ging es um ein deutsch-russisches Bündnis. Leibniz betrieb als erster die Aufnahme Rußlands in die politische Konstellation Europas.

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