Mittwoch, 26. April 2006
LITERATUR - 13. Jahrhundert: Digenes Akritas (Akrites)
Ein anomymes byzantinisches, später ins Russische übertragenes Heldenepos in Fünfzehnsilblern. Es stammt vermutlich aus dem 13. Jahrhundert und ist in mehreren Fassungen überliefert.

Erster Teil: Epos von Amer. Darin spiegelt sich die Ethik der Grenzkämpfe zwischen Arabern und Byzantinern am Euphrat im 9.-10. Jahrhundert. Hier werden Ähnlichkeiten mit westeuropäischen Ritterepen der Kreuzfahrerzeit bemerkbar. Die im Epos vorkommenden Namen erinnern an historische Personen. Die Urfassung des 1. Teils wird in das 10. Jahrhundert gesetzt.
Das eigentliche Digenes-Epos ist aus mündlich überlieferten Heldenliedern zusammengewachsen.

Inhalt:

Buch I-III:
Ein reicher, vornehmer arabischer Emir namens Amer unternimmt einen Kriegszug gegen das Byzanz. In Kappadokien raubt er die Tochter des lokalen Kommandeurs. Ihre drei Brüder suchen den Emir im Feldlager auf und bitten ihn, ihre Schwester wieder herauszugeben. Es folgen Zweikämpfe der Brüder mit dem Emir, die unentschieden enden. In den beglei-tenden Gesprächen machen sich die beiden Parteien miteinander bekannt. Sie berichten von ihrer Herkunft, ihren Vorfahren und deren ruhmreichen Taten. Sie sind gleichrangig. Der Emir gesteht seine Liebe zu dem Mädchen, er will Christ werden, um sie heiraten zu können. Alle ziehen ins byzantinische Reich. Der Emir läßt sich taufen und heiratet das Mädchen. Ihr Sohn bekommt den Namen Digenes (der „Doppelsprössige“, als Sohn eines Arabers und einer Byzantinerin) und den Zunamen Akritas (der „Grenzkämpfer“).
Die Mutter des Emirs macht ihm brieflich Vorwürfe und fordert ihn zur Heimkehr auf, gegebenenfalls mit seiner jungen Familie. Die Brüder der jungen Frau vertrauen ihrem arabischen Schwager und lassen ihn allein zurück reisen, um seine Angelegenheiten zu regeln. Es gelingt dem Emir, seine Mutter zum Christentum zu bekehren, seinen Clan zur Übersiedelung in das byzantinische Gebiet zu bewegen. Mit der Schilderung der Wiedersehensfreude und der Ansiedelung der Neuankömmlinge in Kappadokien schließt dieser Teil.
Zweiter Teil (Buch IV - VIII): Er setzt mit einem Lobpreis des Helden Amer ein, mit dem sich niemand vergleichen läßt, weder Achilles noch Hektor. Allein Alexander der Große ist ihm gleich (womit Hinweise auf die Tradition des Alexanderromans gegeben werden). Nun geht es um den Sohn Digenes. Bereits als Kind zeigte er ungewöhnliche Stärke und Mut bei Jagdabenteuern. Mit bloßen Händen erlegt er wilde Tiere und erschlägt einen Löwen mit dem Schwert. Auf einem Ausritt trifft er auf Apelaten (= Freibeuter im grenznahen Gebiet, Helden von Volksliedern, ähnlich den späteren Haiduken in Bulgarien) und trifft auf ihren Führer Philopappos.
Es schließt sich die Geschichte vom Brautraub an. Der junge Digenes hört von der schönen Eudokia, Tochter eines Strategen (Gebietskommandeurs), der bisher alle Bewerber abgewiesen bzw. getötet hat. Digenes reitet zum Hof des Strategen und ruft dem Mädchen seine Werbung zu. Deren Amme vermittelt ein Treffen zwischen den beiden. Am nächsten Morgen reitet Digenes in den Hof und weckt das Mädchen, indem er zur Laute singt. Nach langen Gesprächen kann er das Mädchen entführen. Der Stratege, seine Söhne und ein Heer verfolgen ihn, doch Digenes tötet alle bis auf den Strategen und seine Söhne. Der Brautraub endet mit einem prächtigen Hochzeitsfest. Danach zieht Digenes mit seiner jungen Frau an die byzantinisch-arabische Grenze und weiter in das gegnerische Gebiet. Er vollbringt große Heldentaten.
Der byzantinische Kaiser hört von ihnen und lädt ihn zu sich ein. Aber Digenes lädt seinerseits den Kaiser zur Grenze ein. Von Digenes’ Tapferkeit und Schönheit beeindruckt, macht der Kaiser ihn zum Verwalter der Grenzbezirke. Die Kaiserszene schließt mit Kampf- und Jagdspielen, in denen Digenes wieder einen Löwen erlegt.
Das V. Buch beginnt mit weiteren Abenteuern des Helden. Deren Schilderungen werden Digenes selbst in den Mund gelegt. Wieder trifft er die Apelaten und ihren Führer Philopappos. Digenes besiegt alle in Zweikämpfen. Es folgt das Abenteuer mit Maximo, einer Nachfahrin der Amazonen. Der Autor erinnert damit an den Alexanderroman. Digenes besiegt sie, aber behandelt sie rücksichtsvoll. Anschließend kommt es zu einer Vereinigung der beiden.

Lit.: Dichtung des europäischen Mittelalters. Ein Führer durch die erzählende Literatur, hg. v. R. Bräuer, München 1990, S. 200 ff.

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