Freitag, 5. Mai 2006
Politik/Geschichte. Exkurs: Rußland und Asien
Grenzfälle: Hat Russland eine feste Gestalt gefunden?

Alexander Dugin arbeitete mit den Nationalbolschewisten um den Publizisten Eduard Limonow zusammen. Er schreibt in der Hetzpostille „Sawtra“ und strebt Rußlands Wiedergeburt als kontinentales Imperium an. 2001 arbeitete er für die Staatsduma und beriet den Vorsitzenden des russischen Parlaments, Gennadij Selesnjow.
Dugins Buch über die „Grundlagen der Geopolitik“ war in Kreisen der Moskauer politischen Elite ein „Renner“. Dugins Ideologie knüpft an die Konzepte der Eurasier in russischen Emigrantenzirkeln der zwanziger Jahre an. Sie suchten nach der „All-Einheit“ in einer „übernationalen Föderation“ – gebildet aus Ländern der „östlich-europäisch-asiatischen ... Kulturwelt“. Die Landmasse zwischen Ostsee und Pazifik sahen sie als eigene Zivilisation, die nicht mit westlichen Ideen vereinbar sei.
„Bei uns lebten immer viele Völker. Unter ihnen haben die Russen kein Monopol auf Staatlichkeit. Sie brauchen die Allianz mit den anderen Völkern. Der türkische Faktor ist ein besonders positiver für unser Land; die Vielfalt ist die Grundlage der russischen Staatlichkeit.“ (Dugin)
„Entweder wir oder sie im Westen“, fasste Dugin den geopolitischen Bruch zusammen. „An eine Vereinigung mit dem Westen ist nicht zu denken, weil er nationale Besonderheiten niederwalzt. Die Globalisierung amerikanischer Art und die demokratische Ideologie sind die Feinde der besonderen eurasischen Zivilisation, in dem die Russen eine Schlüsselrolle spielen, aber keine Herrscher sind. Als Eurasier können wir alle zusammenleben, ohne auf eigene Grundsätze verzichten zu müssen. Warum sollen wir nicht die Erfahrungen zum Beispiel des mongolischen Reiches nutzen?“
Rußland müsse Muslime, Buddhisten und orthodoxe Christen in einer „Heiligen Allianz gegen die atlantische Konsumideologie“ einigen. Die heutige Föderation sei ein „provisorisches Gebilde“ auf dem Weg zu einem neuen „multiethnischen Imperium“ auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion.
Auch der russische Präsident Putin bemerkte auf einer Reise in den Fernen Osten im November 2000, dass sich „Rußland immer als euro-asiatisches Land“ verstanden habe. Doch seit Putins außenpolitischer Wende Richtung Westen nach dem 11. September 2001 steht der eigenwillige Berater des Dumavorsitzenden (Dugin) in scharfem Kontrast zur offiziell verkündeten Politik des Kreml. Der Präsident möchte Rußland fest an westliche Institutionen binden. Da kommt eurasische Rhetorik ungelegen. Im Vordergrund der Dugin’schen Ideen steht weniger die antiwestliche Rhetorik als das eurasische Programm. Dieses fasziniert viele russische Politiker und Geostrategen, weil es offenbar Antworten gibt auf drei große russische Fragen. Sie standen im Hintergrund des Zerfalls der Vielvölkerreiche von 1917 und 1991 und werden Russland in den kommenden Jahrzehnten weiter bewegen:

- Was hält den Vielvölkerstaat Russland zusammen?
- Wie ist die extrem ungleichmäßig besiedelte Landmasse zu beherrschen?
- Wo liegen Russlands natürliche Grenzen?

Dugin schlägt als Lösung ein multiethnisches Reich unter russischer Führung vor, eine Welt für sich in Abgrenzung von anderen. Seine Ideologie bietet jenen, die daran glauben, eine gemeinsame Identität. Und dies in einem Staat, den alle zu gleichen Teilen als den ihren ansehen können. Deshalb hören ihm auch Muftis und Lamas gern zu. Die eurasische Idee scheint einen Weg zu weisen, wie sich die schmerzlich vermißte Einheit der Völker in Rußland mit der enormen Größe des Landes verbinden lässt.
An der Kluft zwischen Einheit und Größe scheiterte Präsident Gorbatschow, dem erst Litauer und Georgier davon liefen, bis ihm schließlich das ganze Reich zerbrach.
Das Problem ist so alt wie das russische Imperium. Seit der Eroberung der Stadt Kasan im 16. Jahrhundert und der allmählichen Unterwerfung des Tatarenreiches war Rußland mit der Frage konfrontiert, wie die Menschen der bezwungenen Gebiete gewonnen werden konnten. Wie ließ sich ihr Vertrauen erkaufen? Wie war die Loyalität ihrer Führer sicherzustellen? Wie sollten die neuen Gebiete mit dem Kernreich verflochten werden? Mit jeder Eroberung nach Osten, Süden und Westen wurde die Aufgabe schwerer, die Provinzen zu verwalten. Über die immer größeren Distanzen im wachsenden Reich war das nicht selbstverständlich. Militärische Gewalt erwies sich nur als halbe Lösung. Das fundamentale Ziel hatten alle russischen Zaren, Generalsekretäre und Präsidenten klar vor Augen: Das Reich mußte erhalten werden. Alle anderen Zwecke standen dahinter zurück. Doch die Kontrollmethoden waren so gegensätzlich wie die Länder, die es zu beherrschen galt.
Um der Einheit willen ließen sich die Herrscher auf Taktiken ein, die nur scheinbar widersprüchlich waren. Auf Druck von oben folgte eine Politik des Laissez-faire, Zentralismus wechselte sich mit Modellen regionaler Autonomie ab, militärische Gewalt schloß die zeitweilige Duldung separatistischer Strömungen nicht aus. Einige russische Führer verfolgten in verschiedenen Gebieten des Reiches beide Taktiken zugleich. Der Wechsel zwischen Unterdrückung und Toleranz zog sich durch die Jahrhunderte, er war nicht an die Herrschaftsform gebunden. Die Untertanen der Zaren und der Generalsekretäre erlebten die Wechselbäder der Obrigkeit ebenso wie die Bürger der Russischen Föderation.

Aus: Michael Thumann, Das Lied von der russischen Erde. Moskaus Ringen umd Einheit und Grösse, Stuttgart u. München 2002, S. 239

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Donnerstag, 4. Mai 2006
Politik/Geschichte. 1921/22.
Große Hungersnot.
Neue ökonomische Politik Lenins (NEP). Sie sah auch den privaten Handel in begrenztem Ausmaß vor.



"Hunger nähert sich".

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